Mythodrama
Mythodramatische Rituale sind immer Naturrituale, die zudem noch über eine besondere Komponente - die mythodramatische - haben. Den Begriff “Mythodrama” hat Ursula Seghezzi geprägt. Dabei handelt es sich um Rituale, in denen alte Bilder, Märchen und Mythen in Szene gesetzt werden. Es tauchen also während des Rituals Figuren aus Märchen und Mythen auf, z.B. Frau Holle. Die Teilnehmenden sind eingeladen, sich auf dieses Bild einzulassen und zu schauen, wo es sie berührt, was sie fühlen, welche Assoziationen es hervorruft.
Denn - das ist Ursula Seghezzis These - das Betrachten und vor allem Fühlen dieser Bilder ist heilsam, weil es uns zutiefst mit uns selbst verbindet. Die Grundlage für diese Szenen ist nämlich unsere eigene kulturelle Tradition, d.h. die Sagen, Mythen und Bräuche, die uns von Kindesbeinen an vertraut sind und die uns von der Welt künden, wie sie in uralten Zeiten war. Leider sind diese Märchen im Laufe der Zeit durch den jeweiligen Zeitgeschmack und die patriarchalischen Herrschaftsverhältnisse entstellt worden, sodass ihre ursprüngliche Botschaft nur noch schwer erkennbar ist. Das gilt vor allem für die so genannten Hausmärchen, die von den Gebrüdern Grimm gesammelt wurden. Die Grimms veränderten diese Märchen im Laufe ihrer Bearbeitungen, in ihrer letzten Ausgabe der Hausmärchen, die heute bekannt ist - waren die Protagonisten wesentlich jünger, ging es nicht mehr um Sexualität und war keine Spur mehr von weiblicher Eigenständigkeit und Macht zu finden. In der mythodramatischen Ritualarbeit lesen wir darum die Märchen herrschaftskritisch gegen den Strich und konzentrieren uns auf den erhaltenen Kern und seine Botschaft.
Literatur zum Weiterlesen:
Samira El Ouassil und Friedeman Karig, Erzählende Affen - wie Geschichten unser Leben bestimmen, Ullstein 2021.
Ursula Seghezzi, Im Land der Seele. Van Eck Verlag 2015.
Ursula Seghezzi, Macht Geschichte Sinn. Was uns mitteleuropäische Mythen über unsere Zukunft erzählen. Van Eck Verlag 2020.
Vera Zingsem, Der Himmel ist mein und die Erde ist mein. Göttinnen großer Kulturen im Wandel der Zeiten, Klöpfer und Meyer 1995.